Entwicklung der Fanforschung
Noch vor einigen Jahren
verstand die Wissenschaft unter Fans oftmals Außenseiter, pathologisch
Veranlagte und von Obsession geplagte Einzelgänger, die ihre Lebenszeit nutzlos
vergeudeten (vgl. Winter 2010, S. 161). Das heutige Bild vom Fan hat sich
gewandelt, wie sich im vorherigen Arbeitsteil (Definition Fan, Fantum) zeigte.
Vielmehr wird das Fan-Sein als eine Form des kulturellen Widerstands
thematisiert. Im Folgenden werden aktuelle Erkenntnisse und Entwicklungen der
Fanforschung seit Mitte der 1990er Jahre aus kulturtheoretischer Sicht nach
Rainer Winter (2010) aufgezeigt. Dabei wird der Schwerpunkt auf das Verhältnis
von Fans und Kultur gelegt.
Im ersten Schritt der
Fanforschung untersuchte eine Gruppe von Forschern das Verhältnis von
akademischer Kultur und Fankultur in einer ethnographischen Perspektive. Dabei
waren die Fanforscher soziologisch orientiert und verpflichteten sich dem
„active audience approach“. Demnach widmeten sich Studien den tatsächlichen
Zuschaueraktivitäten und der Glaube an passive Zuschauer ging verloren. Die
Forscherperspektive hält die ethnographische Distanz zu den Untersuchten ein,
indem deren aktive Auseinandersetzung mit medialen Objekten aufgezeigt wird. Dabei
wird das eigene Fantum nicht thematisiert, wodurch die Forscher sich selbst
nicht zum Gegenstand der Forschung machen. Winter (2010) nennt dessen
Schreibstil weitgehend distanziert, sachlich und unpersönlich. In dieser ersten
Forschungsphase wird deutlich, dass Fans ernst zu nehmen sind, da sie als
wesentliche kulturelle Akteure in der Konsum- und Medienwelt der Postmoderne
angesehen werden (vgl. Winter 2010, S. 165).
Daran anknüpfend untersuchte
eine zweite Generation von Forschern detailliert die Perspektive der Fans, ihr
Wissen, ihre Praktiken und Erfahrungen sowie ihr Vergnügen. Als Beispiel wird
der Forscher Henry Jenkins genannt. Dieser wollte „aus einer Innenperspektive
als Fan zu anderen, neuen akademischen Beschreibungen des Fanseins kommen, die
dessen kulturelle Komplexität und Vielschichtigkeit“ aufzeigt (Winter 2010, S.
166). Weiterhin bemühte sich Jenkins darum, dass das Fansein als normales, alltägliches
kulturelles oder soziales Phänomen (auch in der akademischen Welt) verstanden
wird. Jenkins trat in seinem Forschungsfeld (Studie: Star Treck) schon zu Beginn als Insider auf und folgte nicht den
klassischen Vorgaben der teilnehmenden Beobachtung. Im Gegensatz dazu führte
Bacon-Smith ihre klassisch ethnographisch angelegte Studie (Enterprising Woman) als Außenseiterin durch.
Die Forscher Harrington und Bielby bekennen sich gleich von Anfang ihrer Studie
(Daily Soaps) als langjährige Soap-Fans und „weisen auch darauf hin, dass das
Verständnis von Medienfans in der Öffentlichkeit in der Regel auf Ignoranz und
Vorurteilen beruht“ (Winter 2010, S. 167). Dabei nimmt die multi-methodisch
konzipierte ethnographische Studie im Kontext der Cultural Studies eine
besondere Rolle ein, da die teilnehmende Beobachtung mit Textanalysen,
Internetforschung und Interviewtechniken verbunden wird. Hierbei wird auf die Problematik
hingewiesen, dass sich Gefühle und Emotionen des Fan-Seins nicht diskursiv
beobachten oder durch Interviews nicht erfassen lassen. Zudem besteht die Gefahr, dass exzessive
Formen des „Genießens“ vom Forscher übertragen werden, weil dieser kein
theoretisches Vokabular besitzt, um diese Formen zu erfassen, zu beschreiben
oder zu analysieren. Als Ergebnis der zweiten Forschungsphase zeigt sich, dass
die Fanperspektive zentral und ihr Wissen von Bedeutung ist. Auch die
diskursiven Grenzen von Beobachtungen und Befragungen werden in dieser Phase
deutlich.
In der heutigen dritten
Phase weist Winter (2010, S. 168) auf die Erweiterung der Zugänge bisheriger
Methoden hin, um den Erfahrungen, Leidenschaften und gelebten Erfahrungen von
Fans möglichst nahe zu kommen. Hierbei treten die Forscher in einer Doppelrolle
als Akademiker und Fan auf und verwenden diese Position als Basis für ihre
wissenschaftliche Karriere, die von den Akademikern der angloamerikanischen Welt
vermutlich akzeptiert wird. „Sie formulieren aus einer Fanperspektive heraus
wissenschaftliche Fragen, treten in Talkshows auf und machen sich für Belange
von Fans stark“ (Winter 2010, S. 168). Winter betont in seinem Text, dass das
eigene Fantum weiterhin nicht zum Ausgangspunkt der akademischen Forschung
genutzt werden sollte, so wie es im Gegensatz zum angloamerikanischen Raum in
Deutschland, Frankreich, Italien oder China der Fall ist.
Um die Probleme der zweiten
Fanforschungs-Phase zu beseitigen, muss die Schlüssellochperspektive des
Beobachters verlassen werden. In den Mittelpunkt der Untersuchung sollen
persönliche und intime Geschichten von Fans rücken, mit denen die
biographischen Erlebnisse des Forschers verknüpft werden können. Außerdem soll
es zu einer dialogischen Auseinandersetzung zwischen Fan und Forscher kommen,
so dass der Forscher seine Verständnisgrenzen bezüglich des Themas überwinden
kann und für fremde Erfahrungs- und Erlebniswelten sensibel wird. Bezüglich
popkultureller Erfahrungen ist es wichtig, deren Partikularität und
biographische Kontexte zu beachten. Häufig werden in diesem Vorgehen emotionale
und verkörperte Formen des Wissens berücksichtigt. Damit sich Forscher und Fan
tiefgehend emotional begegnen können, müssen Erlebnisse, Gefühle und
Erfahrungen vom Forscher selbst im Untersuchungsfeld aufgeführt werden. Zu
einer Interaktion zwischen Untersuchten und Forschern soll es in der
Darstellung der Forschungsergebnisse kommen.
Daran anschließend und
zusammenhängend ist der Aspekt der Selbstreflexivität. Sie zeigt „die
Begrenzungen unserer Weltsicht auf und verdeutlicht, dass verschiedene
Interpretationen und Beschreibungen unserer eigenen Welt und der der Fans
möglich sind“ (Winter 2010, S. 170). Es können also Gefühle, affektive
Bindungen und Werte des Fans sowie des Akademiker-Fans in ihren diskursiven und
kulturellen Prägungen erforscht werden. Weiterhin kann deutlich werden, wie
Argumente für das Fan-Sein kulturellen Bestimmungen folgen. Der Betrachter kann
durch diese Prozesse Einblicke in die veränderlichen Perspektiven von Fans und
ihren emotionalen Zuständen bekommen. Es können verschiedene Fankulturen
betrachtet werden, wie zum Beispiel die Untersuchung verschiedener Fanbindungen
eines Akademiker-Fans. Hierbei werden die Autoethnographie und das
biographische Interview durch die Forschungskonzentration überwunden.
Winter verdeutlicht mit der
Einteilung in die drei Forschungsphasen die Schwierigkeit der Verankerung der
Fanforschung in der Wissenschaft. Es wird deutlich, dass sich das Verhältnis
von einer großen Distanz hin zu einer derartigen Nähe verschoben habe, sodass
nunmehr die Methode der Autoethnographie eine bedeutsame Möglichkeit der
Untersuchung von Fanforschung darstelle. Um den Welten der Fans gerechter zu
werden, sind neue Methoden wie diese notwendig.
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